HIMMELHAUT,
2022
Für das Projekt INTERSTELLAR 227 von Dorrit Bauerecker & Barbara Schachtner habe ich eine Textarbeit verfasst, die in der Tonhalle Düsseldorf uraufgeführt wurde und zudem in einigen weiteren Aufführungen interpretiert wurde. An dieser Stelle mein Text und ein Link zur kollaborativen Anwendung:
HIMMELHAUT
Wir kommen mit tönernen Tippelschritten
auf die Welt und schauen von unten nach oben
und häuten uns, schon eine lange Zeit,
Tag für Tag, Nacht für Nacht, achtsam,
endlich jedoch, immer wieder
auf’s Neue und lernen die Leuchtketten
zu deuten, die Lampions gerade zu rücken,
Sonne, Mond und Sterne erst zusammen
zu führen, um sie uns dann vom Leib zu halten.
Enden wir im Licht?
Verbinden wir uns nicht?
Blau ist der Himmel, das Wasser
und der schwere Schädel.
Der Transfer lief schief
und nun sind wir hier
im Heute und schauen darauf.
Wir wissen, wie Mars und Jupiter,
Venus und Saturn sich zusammensetzen
und kennen die Wege
ins Innere der eigenen Gedanken.
Glauben wir, glauben, wir nicht
doch dort, wo sich das Licht bricht
am Rand der Himmelshaut
Grenzen bildete zwischen uns und
dem, was abgetrennt wird,
da denken wir und rufen laut:
Wir trennen uns nicht!
Hier ist kein Ende in Sicht!
Es fängt doch gerade erst an!
Nicht hier, nicht jetzt,
weder heute, noch am anderen Ende.
Wir sind eins, und je komplizierter
wir werden, ernsthaft,
desto mehr Kontakte lassen
sich knüpfen, Verbindungspunkte,
Grübelketten und Kampfabdrücke!
Dort, schau, eine Pfannkuchenkuppel
und der Morgenstern, wie sanft sie
zusammenfinden, sich aneinander-
schmiegen, sie kuscheln sich
aneinander, als haarige Sterne,
setzen uns Kronen auf unsere Hirne.
Es sind
Himmelskörper und Hände,
größer als der blutige Mond,
begreifen und rühren uns
im Inneren und im Außen.
Gehen uns an, egal an welchem Ende
wir anfangen, es häufen und vermengen
sich die triebhaften Trabanten,
die unsere Fahrbahnen kreuzen.
Von unten kommt Licht und von oben
läuft die Luft durch‘s Wasser.
Wir Wankenden, wir wandern
durch Kern und Koma,
tasten an Gräbern und Graphit,
kritzeln, kreischen, kapitulieren und
kommen zuletzt wieder unten an,
obwohl wir uns aufgeschwungen haben,
alles zu sehen, zu verstehen
und richtig zu machen.
Wir haben den Überblick verloren
Wir haben im sphärischen Dreieck
die Einigkeit aufgegeben und
doch keine Kontrolle gewonnen.
Damals, ja damals, gruben wir tief,
wir beraubten den Staub und die
Umlaufbahn und alle kernigen Krusten.
Wir glaubten an’s Wissen
und sämtliche Weltweisen und
selbstgebauten Weisheiten.
Wir glaubten uns zu unterscheiden
und alles zu vermeiden,
was falsch oder ungenau sei,
wollten es so gerne richtig machen.
Wer sind wir?, fragten wir und
beantworteten es uns selbst.
Klar, konnte das nichts werden,
wenn der Morgenstern am
Abend Al-Uzza zugeeignet wurde,
und wir weiter durch Stalaktitenfelder
wackelten und nicht wussten,
wo wir waren und wie lange,
und doch immer dachten:
Das kriegen wir schon hin,
das schaffen wir, das wird schon,
wir haben es doch noch im Griff…
Plötzlich wird klar, wir wissen nicht,
wo wir sind und haben es nie gewusst.
Wir wussten nicht, wo wir enden und haben uns
viele Geschichten ausgedacht,
die zu erklären versuchten,
wo wir, wie und warum, wir waren.
Was das Licht vom Dunkel schied,
das Blaue vom Grünen,
den roten Planeten von den gelben Sternen,
und den ultravioletten Bildern in
den selbstgebastelten Hohlspiegeln.
Wir verstehen trotzdem nichts.
Wir können unser eigenes Hirn nicht erkennen,
zeichnen Nervenbahnen und Sternenkarten,
um uns nicht zu sehr im Kosmos zu verlaufen,
wir wissen aber so wenig und glauben unsere
eigenen blinden Flecken wie Planeten,
Magnete und chemische Elemente
zu erkennen. Blindlings.
Bewusstsein kommt vom Bewissen
Und nicht vom Beweisen.
Niemand hat hier recht.
So landeten wir an der Schnittstelle,
dem Hohlraum, den Grenzhügeln,
den Trennflächen, den letzten Winkeln
und kehrten zurück in die Höhlen,
um uns zu erholen und die Anziehungs-
kräfte aufzuspüren, die in uns sind,
die uns verbinden, lange Linien ziehen,
Stricke aufrollen, Taue bündeln und Blicke
spüren und das Sonnenlicht,
den Liebesraum,
den Klangkontakt,
das Extraland ,
und die Himmelshaut,
die uns mit dem Hier und Jetzt,
dem Gestern und Morgen,
dem Drinnen und Draußen,
dem Ich und Du
verbindet,
verbündet,
verbändelt,
und sanft zusammenhält.
Im Licht, im Wasser,
in der Sonne,
am Berg, im Oben,
im Unten.
Für dich und
für mich, also
uns alle
gemeinsam.
(Swantje Lichtenstein, 2022)
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